Baulöwen, Bächleputzer und
Praktikantinnen auf Suche nach Nachhaltigkeit – der "Freiburger Jedermann" des Wallgraben Theaters im Rathausinnenhof ist gespickt mit Anspielungen auf die Stadt.
Von Heidi Ossenberg
Sa, 27. April 2019
Neues Leben für einen Klassiker
Lessings "Minna von Barnhelm" im Freiburger E-Werk
Sehr lebendig und sehr von heute: Dirk Schröter inszeniert Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm"
für die Experimentalbühne im Freiburger E-Werk.
Inhaltlich knapper auf den Punkt gebracht wurde Gotthold Ephraim Lessings "Minna von Barnhelm – Lustspiel
in fünf Aufzügen" von 1767 wohl nie: "Minna liebt Tellheim, doch Tellheim liebt Preußen. Franziska liebt
Werner, doch Werner liebt Geld. Just liebt die Ruhe, doch die Wirtin liebt Rummel. Und die Dame in Trauer?" So
steht es auf dem Flyer zum Stück, das Dirk Schröter mit Schauspielschülerinnen und -schülern für die
Experimentalbühne im Freiburger E-Werk erarbeitet hat. Die Farbe des Flyers ist rosa, die Schrift hellblau. Ein
weiterer Hinweis darauf, dass es um das Verhältnis der Geschlechter geht. Und ein Hinweis auch auf das Ziel des
Regieteams (neben Schröter Jeanine Amacher als Regieassistentin und Moira Pawellek als Dramaturgin): Hier
soll ein Klassiker zu neuem Leben erweckt werden!
Um es vorweg zu nehmen: Dieses Vorhaben ist famos geglückt. Die tiefe Bühne ist durch Vorhänge an beiden
Seiten optisch verkürzt. Sie werden nach Bedarf auf- und zugezogen, dahinter verbergen sich: die Bar, an der die
Wirtin des Gasthauses in Berlin ihre Händel vollzieht, oder die Sitzbänke, vor und auf denen die acht Figuren
agieren. Eine Tür und ein weiterer Vorhang trennen das Zimmer ab, das der preußische Major von Tellheim
bewohnte und das die Wirtin dem sächsischen Fräulein Minna von Barnhelm und ihrer Freundin Franziska
vermietet. Diese sind auf der Suche nach Minnas Verlobtem Tellheim, der sich ihr nach dem Ende des
Siebenjährigen Krieges ohne Erklärungen entzogen hat. Als Kenner der Geschichte weiß man, dass Tellheim
Minna nicht verlassen hat, weil seine Liebe erloschen wäre. Er ist der Meinung, Minnas nicht würdig zu sein. Als
die beiden sich wiederbegegnen, fallen sie einander in die Arme – doch gleich macht Tellheim wieder einen
Rückzieher; seine Gefühle über seine Moralvorstellungen zu stellen, das gelingt diesem Mann einfach nicht.
Diesen zentralen Konflikt des Stücks könnte man leicht als überholt ansehen. Doch Schröter zeigt, dass das nicht
stimmt. Alle Figuren sind vom Krieg versehrt – nur sind die Frauen froh, dass das Sterben ein Ende hat, die
Männer hingegen glauben, in Friedenszeiten ihre Daseinsberechtigung verloren zu haben. Das zeigt sich nicht
zuletzt durch die permanente Anwesenheit der Witwe von Tellheims Stabsrittmeister Marloff (Jana Ludwig) auf
der Bühne, die eindrucksvoll mit der Rezitation von Matthias Claudius’ Kriegslied ("’s ist Krieg") beginnt.
Schröter hat behutsam Hand an Lessings Klassiker angelegt. Gelungen sind die "modernen" Lieder, die wie die
originellen Kostüme für Heiterkeit sorgen. Die Originalsprache ist weitgehend erhalten, lediglich an manchen
Stellen gekürzt und umgestellt – und mal werden zwei Szenen parallel gespielt Dafür ist es zwingend, dass die
Darsteller deutlich sprechen – vielleicht war es der Aufregung bei der Premiere geschuldet, dass dies nicht immer
glückte.
Ansonsten ist spürbar, dass die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler sich sehr ins Zeug gelegt haben.
Frisch und engagiert spielt Artur Grenz den derben Just, Selina Farine die auf ihren Vorteil bedachte Wirtin, Nils
Jensen den loyalen Wachtmeister Werner, Sebastian Götze einen herrlich depperten Feldjäger. In ihrem fein
abgestimmten Zusammenspiel gefallen Veronika Wider als Franziska und Aileen Rohde als Minna; beide legen so
viel Spielfreude und Präsenz auf die Bühne, dass ein Besuch der Aufführung schon um ihretwillen lohnt. Lion
Koch meistert die Partie des Tellheim überzeugend in Lessings Sinn: "der edelste, stärkste Charakter, der immer
mit einer gewissen Würde und Härte handelt, ohne die keine Mannsperson sein sollte". Dass die moderne Minna
mit dieser Rollenzuschreibung ihre Probleme hat – davon sollte sich man sich selber überzeugen. Begeisterter
Applaus.
Badische Zeitung vom 02.05.2006
Dirk Schröter inszenierte am Freiburger Wallgraben-Theater Neil LaButes Stück um Liebe und Formbarkeit
Was liebst du an anderen? Meine Hoffnungen?, heißt es in Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft. Doch die von der energischen Kunststudentin Evelyn betriebene Wissenschaft in der Liebeskunst ist zugleich eine formende und zurichtende.
Nicht genug, dass sie mit Hilfe einer Sprühdose die im Museum der kleinen Universitätsstadt gezeigte männlichen Statue um ein unverzichtbares Körperteil ergänzen will ? der schüchterne junge Aufseher Adam erweist sich sogleich als ein viel lustvolleres Objekt der Formung, weil er statt aus Gips oder Marmor eben aus Fleisch und Blut besteht.Ihre schrittweise Verwandlung des linkischen, scheuen und obendrein kurzsichtigen Anglistik-Studenten in einen selbstbewussten und gut aussehenden jungen Mann voller Ausstrahlung und Kraft könnte als schöner Erfolg der Menschlichkeit gelten, wäre da nicht die Vorspiegelung der Liebe, wo berechnender Zweck und das notwendige Bestehen einer Präsentationsprüfung die eigentlichen Triebfedern sind . . .
Dirk Schröter, der scheidende Spielleiter und Dramaturg am Freiburger Wallgraben-Theater, führt in dem ?Schauspiel? des US-Amerikaners Neil LaBute mit leichter Hand die erotischen Verwirrungen und Verwechslungen zweier junger Paare zusammen. Auch wenn die Qualität der Dialoge leider immer wieder auf das Niveau billiger amerikanischer Vorabendserien absinkt (einige Streichungen hätten dem Werklein gut getan), bringt der stets spannende Pygmalion - Stoff und die große Bühnenpräsenz der Schauspieler ein zwischen Heiterkeit und Ernst hin und her pendelndes Geschehen zu Wege.
Heidi Klein als Evelyn verkörpert nicht ohne massive Wuchtigkeit den eisernen Willen zum Erfolg, wie er im American Dream einstmals allein den Männern vorbehalten war. Als Adam, seiner braunen Kordjacke entwachsen, gestylt, mit neuem Haarschnitt und Kontaktlinsen versehen, seine Degradierung vom Geliebten zum bloßen Objekt künstlerischer Dokumentation durchschaut, misslingt leider eine wirklich dramatische Konfrontation der beiden bei der ?Vernissage? . ?Irgendwer zahlt für deine zwei Minuten auf CNN? , heißt es lakonisch, und damit erscheint schlaglichtartig die ?Welt als Phantom und Matrize? (Günther Anders), der sich der Mensch ? weil er, so wie er ist, nicht bestehen kann ? als Kunstprodukt seiner selbst zu unterwerfen hat.
Ein ernstes Thema, zu ernst für den Boulevard vielleicht. Jenny und Phillip sind das befreundete ?Gegenpaar? , sind zwischen Vorstadttraum vom Eheleben und Cocktailparty-Kultur eher angepasst (Susanne Winkler und Patrick Schmick) und vom Lebensgrübel nicht angekränkelt. Sie mischen Evelyn und Adams Geschichte mit Hilfe schlichterer Verlockungen kräftig auf.
Eine muntere, frische Inszenierung, besonders für junge Menschen, lebendig und unterhaltsam, die jede Menge Stoff für Gespräche über Gestaltung und Sinn des Lebens zu zweit liefert. Gelungen sind auch das ebenso schlichte wie klare, mit farbigen Schattenrissen spielende Bühnenbild und die Kostüme (Susanne Mühlbauer). Ein weiterer guter Schritt zur Verjüngung des Wallgraben-Theaters und seines Publikums. (Peter Winterling)